Michael Schwahn

Leonardo da Vinci Studien
Deutsche Version


"Der Kopf ist rund damit er die Gedanken wechseln kann"


Abbildung 1: Rekonstruktion des Gesichtes von Leonardo da Vinci


                                  Vorwort


Verehrte Liebhaberinnen und Liebhaber der Renaissance Kunst und von Leonardo da Vinci, ich freue mich sehr, dass Sie sich für diese Dokumentation interessieren.

Ich hoffe, dass Sie schon ein gewisses Vorwissen zum Thema Leonardo mitbringen, denn das setzt diese Studie voraus. Sie können aber trotzdem weiterlesen, wenn Sie noch keine Kenntnisse über Leonardo besitzen, denn ich bin mir sicher, dass Sie durch die Lektüre meiner Gedanken selbst zur Lektüre einer ausführlichen Leonardo Biographie angeregt werden.

Wenn Sie dann sich meine Studie nochmals durcharbeiten, werden sie mit noch mehr Vergnügen und Erkenntnissen belohnt, als dies schon beim ersten Mal der Fall war.

Sie haben sich beim Betrachten des Titelbildes dieser Studie bestimmt sofort gefragt, ob der Abgebildete Leonardo da Vincis ist. Das Titelbild zeigt Leonardo da Vinci, allerdings, wie er aussah ohne den sehr bekannten Vollbart. Es handelt sich somit um ein rekonstruiertes Gesicht.

Ich werde anschließend in dieser Studie nach und nach Ihnen erklären, wie es zu dem Bild gekommen ist, aber zunächst möchte ich mich kurz vorstellen.

Ich bin größtenteils autodidaktisch ausgebildet und arbeite als Saxophon Lehrer, Live Musiker sowie im Promotion Bereich von Unterhaltungs- Elektronik. Ich beschäftige mich seit meiner Kindheit mit bildender Kunst sowohl aktiv als Zeichner und Maler als auch passiv durch meine Studien der Kunst Geschichte und ich arbeite zur Zeit meistens an digitalen Bildern, die teilweise mit den nachfolgenden Ausführungen zu tun haben. 

Ich zeichne mit der linken Hand und habe mit Rechts schreiben gelernt, was zu meinem Leonardo Verständnis durchaus beigetragen hat.

Ich beschäftige mich nun schon seit 40 Jahren mit Leonardo und ich bin froh, dass ich mit dieser Studie meine eigenen Überlegungen zu Leonardos Aussehen und Person in einer ersten Etappe abschließen kann.

Das Ziel dieser Studie ist Ihnen Leonardo da Vinci zu zeigen wie er tatsächlich ausgesehen hat. Sie werden später Leonardos Gesicht mit ungefähr 10, 13, 15 18, 20 und 24 Jahren sehen. 

Das tatsächliche Aussehen Leonardos ist auch sehr wichtig zum Verständnis seiner Biographie und seiner Persönlichkeit, wie nachfolgend noch ausführlich erläutert wird.

Diese Studie, die ich hauptsächlich in den letzten acht Jahren zusammengestellt habe, wird für die meisten Kenner der Biographie und Werke Leonardos verwirrend und erstaunlich sein. Das liegt vor allem an der Zusammenstellung der Abbildungen von Kunstwerken, die ich Ihnen vor allem im zweiten Teil der Studie präsentieren werde. Diese Bilder beziehen sich alle auf das Aussehen des jungen Leonardos und werden dem aufmerksamen Betrachter ihre Botschaft mit großer Selbstverständlichkeit vermitteln. 

Natürlich kann man auch andere Schlüsse ziehen aus dem was uns die Bilder mitteilen wollen, aber das hat die Leonardo Forschung der letzten hundertfünfzig Jahre bereits hinlänglich getan. Diese Dokumentation wird Ihnen also einen anderen Leonardo vorstellen, der nur teilweise etwas mit der Person zu tun hat, die in den Standard Werken geschildert wird.

Sie haben dann die Möglichkeit den von mir vorgeschlagenen Ansatz nochmals im Lichte der modernen Leonardo Forschung zu reflektieren.

Leider kann die Leonardo Forschung der letzten hundertfünfzig Jahre nur auf wenige verlässliche Quellen zurückgreifen. Die Quellen aus Leonardos Lebenszeit, die sich direkt auf ihn beziehen sind äußerst spärlich und würden sich auf sechzig Druckseiten zusammenfassen lassen.

Deshalb war die Leonardo Forschung immer auch auf das Hilfsmittel der Interpretation und Ergänzung der Lücken angewiesen. Dadurch hat sich ein bestimmtes Leonardo Bild  ergeben, an dem sich in den letzten siebzig Jahren nur wenig geändert hat. Es gibt allerdings Strömungen innerhalb der Leonardo Forschung der letzten zwanzig Jahre, die zumindest was seine Werkstatt Arbeit angeht wieder an die von Wilhelm Suida und Adolfo Venturi geleistete Arbeit anzuknüpfen versuchen. 

Diese beiden Kunst Historiker hatten Anfang des 20.Jahrhunderts sich sehr intensiv mit den Gemälden auseinander gesetzt die in den Werkstätten Leonardos entstanden. 

Man sprach allerdings damals vom Leonardo Kreis oder von Leonardeschi und nahm nicht so stark Bezug auf eine Werkstatt Methode. Ich werde im vierten Teil dieser Schrift ausführlich auf die Werkstatt Methode Leonardos eingehen. Dabei werde ich erläutern, wie es zu dieser Methodik gekommen ist und warum sie so außerordentlich wichtig ist zum Verständnis der Persönlichkeit Leonardos.

Aus der Erkenntnis des Mangels an authentischen Quellen habe ich begonnen mich intensiv mit den Arbeiten, die in der Verrocchio Werkstatt entstanden zu beschäftigen, sowie mit den Kunst Werken, die in den Werkstätten Leonardos geschaffen wurden. Andrea Verrocchio war Leonardos Lehrmeister und für die Entwicklung von Leonardos Persönlichkeit von außerordentlicher Bedeutung. Ziel dieser Studie ist es an Hand dieser Werkstatt Werke ein authentisches Leonardo Bild zu zeigen. 

Leider ist die Zuschreibung von Kunstwerken der Renaissance äußerst schwierig, da nur in Ausnahmefällen eine Signatur durch den Künstler vorgenommen wurde und manchmal auch Signaturen von späteren Verkäufern der Kunstwerke ge - und verfälscht oder nachträglich angebracht wurden.

Deshalb habe ich mich entschlossen, so vorzugehen, wie es noch am Beginn des 20.Jahrhunderts üblich war und die stilistischen Übereinstimmungen der Werke zu beurteilen und danach diese zu klassifizieren. Man sollte nicht vergessen, dass Wilhelm von Bode durch diese Methode einige der bedeutendsten Werke Leonardos entdeckte, wie beispielsweise die Verkündigung in den Uffizien, welche Heute übereinstimmend als Leonardos Arbeit angesehen wird.

Ich habe es soweit ich konnte vermieden mich von dem Stand der modernen Forschung beeinflussen zu lassen, da ich der Meinung bin dass das aktuelle Leonardo Bild sich größtenteils aus übernommenen und auch teilweise festgefahrenen Ansichten zusammensetzt. Dieses Leonardo Bild wird aber Leonardo in seiner Universalität und Genialität und vor allem seiner vielschichtigen komplexen Persönlichkeit nicht gerecht und es ignoriert leider fast völlig den Werkstatt Meister Leonardo der mit Hilfe seiner Schüler einen florierenden Kunst Handel betrieb.

Ich werde mich allerdings hier nicht mit Leonardo als Konstrukteur Erfinder, Geograph, Anatom, Botaniker und Architekt ausführlich beschäftigen, da diese Tätigkeiten Leonardos zum Verständnis seiner Künstler Werkstatt nicht sehr viel beitragen können. 

Dieser Themen Komplex wurde auch seit den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts in unzähligen teilweise sehr interessanten Forschungsarbeiten ausführlich bearbeitet.

Die Anzahl der Forschungsarbeiten zu Leonardos Künstler Werkstatt ist leider nach wie vor sehr spärlich und so versuche ich mit dieser Studie diese große Lücke wenigstens ein wenig aufzufüllen. 

Diese Studie soll vor allem auch zur Kontroverse anregen, um zu neuen Leonardo Erkenntnissen zu kommen.


Ich kann nur hoffen, dass kommende Generationen von jungen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern sich intensiver mit Leonardo dem Werkstatt Künstler beschäftigen, damit wir zu einem vollständigeren und genaueren Bild von Leonardos Persönlichkeit kommen können.


Im dem nun folgenden ersten Teil meiner Studie werde ich darstellen, wie ich zu der Rekonstruktion des Leonardo Gesichtes gekommen bin. Ich werde dann in den nachfolgenden Teilen an Hand der Besonderheiten der Physiognomie Leonardos zeigen, dass man zu überraschenden Schlussfolgerungen kommen kann was die Persönlichkeit Leonardos angeht. 

Ich wünsche Ihnen nun viel Spaß und anregende Denkanstöße bei der Lektüre dieser Studie.


Erster Teil

Leonardos tatsächliche und imaginäre Gesichtszüge


Ich beschäftige mich seit 1977 intensiv mit Leonardo da Vinci. Mein erster Kontakt mit Leonardo war tatsächlich die Gioconda (französisch Joconde), die in Deutschland und vielen anderen Ländern mit Mona Lisa bezeichnet wird. Ich werde aber in den nachfolgenden Ausführungen bei dem Namen Gioconda bleiben, da dieser meiner Meinung nach wesentlich mehr beschreibt welche Persönlichkeit auf dem Gemälde zu sehen ist. Ich sah das Gemälde zuerst im Jahr 1976 in einem Buch mit dem Titel „ Die berühmtesten Gemälde der Welt“ welches meiner Tante gehörte. Mit 14 Jahren sah ich in einem Kaufhaus ein Leonardo Buch, welches mir durch das ungewöhnlich große Format sofort auffiel. Glücklicherweise schenkte mir meine Mutter diesen Folianten zu Weihnachten. Es handelt sich um das Leonardo Buch des Vollmer Verlages, welches seit 1955 in mehreren Auflagen erschien. Dieses Buch war hinsichtlich der Abbildungen und des Textes nichts weiter als ein Nachdruck des Buches, welches aus Anlass der großartigen Mailänder Leonardo Ausstellung von 1939,  im Italienischen de Agostini Verlag erschien.



Abbildung 2:  Das Leonardo Buch des Lüttke Verlages von 1940

Das Buch vom Agostini Verlag wurde auch 1940 auf Deutsch vom Lüttke Verlag herausgegeben. Ich präsentiere Ihnen hier das Buch vom Lüttke Verlag, weil dort die Qualität der Abbildungen etwas besser ist, als in dem späteren Nachdruck des Vollmer Verlages. Beide Deutschen Ausgaben sind antiquarisch sehr günstig erhältlich.
Das Buch des Lüttke Verlages erschien also in der Zeit des Nationalsozialismus. Das Vorwort schrieb Hermann  Göring.  Es zeigt in sehr schönen sepia farbenen Abbildungen einen großen Teil der Arbeiten der Leonardo Werkstatt und seiner Schule und es gibt nach dem zweiten Weltkrieg, bis in die Neunziger Jahre hinein seltsamerweise kein besseres Buch welches diese Arbeiten zeigt. Somit war es eine glückliche Fügung, dass dieses Buch mir Leonardos Arbeit auf eine Art und Weise zeigte, die mein Leonardo Bild anders prägte als dies mit praktisch allen anderen Büchern, die über Leonardo seit 1945 erschienen, der Fall gewesen wäre. 


Ich möchte Ihnen nun kurz ein paar Seiten des Buches zeigen, damit sie besser verstehen, was dieses Buch so besonders interessant macht.


Abbildung 3: Teil einer Seite aus dem Leonardo Buch von 1940 vom Lüttke Verlag


Abbildung 4: Ein Teil einer weiteren Seite aus dem Leonardo Buch von 1940

Wie die informierten Leser sehen können, zeigt das Buch zahlreiche Bilder, die als Schule Leonardos bezeichnet werden. In Italien werden die Maler dieser Bilder als „Leonardeschi“ bezeichnet. Man spricht auch gerne von der "lombardischen Schule" oder vom "Leonardo Kreis". 
Tatsächlich ist es aber so, dass viele dieser Gemälde Werkstattarbeiten aus Leonardos eigener Werkstatt sind. Ich werde in einem weiteren Teil dieser Studie ausführlich darstellen und erklären wie Leonardo die Führung einer Werkstatt, also eine Werkstatt Methode erlernte und wie seine Werkstätten arbeiteten.

Ich kann mich erinnern, dass ich mich damals nicht sehr viel mit den teilweise schwer verständlichen Artikeln  in dem Buch beschäftigt habe, sondern statt dessen viele, viele Male die Abbildungen studierte.

Ich möchte ihnen jetzt einige Abbildungen aus dem Buch zeigen, die Leonardo Porträts größtenteils aus dem 16. Jahrhundert abbilden.



Abbildung 5:  Leonardo Porträts aus dem Leonardo Buch von 1940



Abbildungen 6 und 7: Weitere Leonardo Porträts aus dem Buch von 1940

Ich war schon damals erstaunt über die Unterschiede der gezeigten Leonardo Portraits und so war mir auch schon bald klar, dass die meisten Abbildungen nicht wirklich Leonardo zeigten. Am Besten gefiel mir in ihrem Ausdruck die Leonardos Sekretär und Schüler Melzi zugeschriebene Zeichnung, die in Frankreich entstand und einen 65 bis 67 Jahre alten Leonardo zeigt. Es gibt von dieser Zeichnung zwei Versionen, die bekanntere befindet sich in der königlichen Bibliothek im Windsor Castle und die andere in der Ambrosiana in Mailand.


Abbildung 8: Die Francesco Melzi zugeschriebene Profilzeichnung Königliche Bibliothek Windsor Castle

Ich habe den Kontrast der folgenden Abbildung etwas erhöht, damit die Gesichtszüge Leonardosbesser erkennbar sind.


Abbildung 9: Leonardo Profilzeichnung, wahrscheinlich Kopie, Ambrosiana Mailand

Dies ist eine Abbildung des Photos, welches Adophe Braun um 1870 von der Zeichnung gemacht hat, die sich in der Ambrosiana befindet.
Es handelt sich bei dieser Zeichnung wahrscheinlich um eine spätere Kopie der im Windsor Castle aufbewahrten Zeichnung.
Beide Zeichnungen zeigen, wenn man sie sich sehr genau ansieht ein Gesicht, welches feingeschnittene, fast weibliche und durchaus noch jugendliche Züge hat. Dies gilt vor allem dann, wenn man versucht sich den entstellenden dichten Vollbart Leonardos wegzudenken.
Da es natürlich nicht so einfach ist sich ein solches Profil ohne Bart vorzustellen, hatte ich von Anfang an die Idee, nach Abbildungen von Leonardos Gesicht zu suchen, die ihn ohne den dichten Vollbart zeigen. Es liegt auf der Hand, dass ein sehr junger Leonardo sicher ohne Vollbart abgebildet wurde. Im folgenden werde ich ihnen aber zunächst ausführlich erläutern, wie es zu dem heutigen tradierten Leonardo Bild gekommen ist. Erst danach werden die tatsächlichen Abbildungen von Leonardos Gesicht vorgestellt.
Die Suche nach authentischen Abbildungen des Gesichtes von Leonardo da Vinci hatte etwas von einer kriminologischen Studie und ich führte sie ab einem bestimmten Zeitpunkt mit großer Spannung und Neugier durch.
Das Ergebnis meiner Untersuchungen war auch für mich überraschend und ich kann Ihnen versprechen, dass sie diese Überraschung nachvollziehen werden.  
Die in Abbildung 1 gezeigte Rekonstruktion des Leonardo Profil Gesichtes habe ich übrigens mit Hilfe einer anderen Profil Porträt Zeichnung von der Hand Leonardos erstellt. Diese Zeichnung befindet sich ebenfalls in der königlichen Bibliothek im Windsor Castle. Ich werde aber erst viel später das Geheimnis lüften wer mit dieser anderen Zeichnung dargestellt wurde. Es ist wichtig zum Verständnis dieser Studie, dass Sie allmählich erfahren, warum ich genau diese andere Zeichnung verwendet habe und wie ich auf das tatsächliche Aussehen Leonardos gekommen bin.

Schauen Sie sich bitte ganz oben am Anfang nochmals in Ruhe die Abbildung der Rekonstruktion des Gesichtes Leonardos an.
Ich erkenne in diesem Gesicht einen anderen Leonardo wie er uns von der gängigen Leonardo Forschung der letzten 80 Jahre vorgestellt wurde.
Ich möchte zunächst auf zwei Dinge hinweisen, die mir aufgefallen sind: man sieht hier einen noch jugendlich wirkenden alten Mann, der durchaus weiche und weibliche Züge aufweist und vor allem nichts mit dem alten Mann zu tun hat der auf der in Turin aufbewahrten Rötel Zeichnung zu sehen ist, von der leider immer noch teilweise behauptet wird sie wäre ein Selbstporträt des alten Leonardos. Sehen sie sich nun bitte das vermeintliche Selbstbildnis Leonardos in Ruhe an:


Abbildung 10: Leonardo da Vinci Zeichnung eines alten Mannes, fälschlicherweise als Selbstbildnis bezeichnet, königliche Bibliothek Turin

Der aktuelle Erhaltungszustand dieser Zeichnung ist leider sehr schlecht. Ich habe deshalb zur Verdeutlichung der Gesichtszüge des alten Mannes eine Abbildung aus dem 19. Jahrhundert von Adolph Braun verwendet und diese digital überarbeitet.
Der dargestellte alte Mann ist meiner Meinung nach mindestens 80 Jahre alt. Das ist natürlich auch schon früher aufgefallen. Man hat diese Diskrepanz dadurch zu lösen versucht, dass man behauptete Leonardo hätte viel älter ausgesehen, als er tatsächlich war.

Der kontemplative und gleichzeitig Weisheit ausstrahlende Blick des alten Mannes passen auch sehr gut zu der Vorstellung, die man sich allgemein vom Universalgenie Leonardo immer wieder machte.
Das dürfte der wichtigste Grund sein warum man den abgebildeten alten Mann bis Heute als ein Selbstbildnis von Leonardo ansieht.

Allerdings ist auch klar, dass die Nasen des alten Mannes der Turiner Zeichnung und der Profilzeichnung, die Melzi zugeschrieben wird völlig unterschiedlich aussehen. Das gleiche gilt auch für die Ringe unter den Augen. Schauen Sie sich bitte den Vergleich der beiden Zeichnungen an:



Abbildung 11: Vergleich der beiden berühmten Zeichnungen

Leonardo starb 1519 im Alter von 67 Jahren. Das in Turin aufbewahrte  Portrait wird um 1512 datiert, so dass er es also mit 60 Jahre zeichnete.
Es ist schwer nachvollziehbar, warum der augenscheinlich über 80 Jahre alte Mann den man in der Turiner Zeichnung sieht, Leonardo sein soll. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass der Dargestellte ein Verwandter Leonardos war, da zwischen ihm und Leonardo eine gewisse Ähnlichkeit erkennbar ist.
Es lebten Leonardos Großvater, Vater und Onkel für damalige Verhältnisse sehr lange.
Leonardos Großvater Antonio di Ser Piero da Vinci lebte von ungefähr 1375 bis 1465, war also deutlich über 80 Jahre alt. Leonardos Onkel Francesco starb 1506 mit über 80 Jahren . Leonardos Vater Ser Piero di Antonidi Ser Piero di Ser Guido da Vinci wurde auch sehr alt und lebte von 1427 bis 1504.
Leonardo hatte eine besondere Beziehung zu seinem Onkel Francesco, so dass dieser ihn zu seinem Alleinerben einsetzte.
Leonardo hatte auch ein sehr herzliches Verhältnis zu seinem Großvater der einen Teil seiner Erziehung übernahm, wie Martin Kempe erst kürzlich an Hand eines neu entdeckten Dokumentes herausgefunden hat. Leonardos Onkel und Großvater wurden also beide über 80 Jahre alt. Auch Leonardos Vater Ser Piero der mit 77 Jahren starb wäre ein denkbarer Kandidat.
Die außergewöhnliche und ausdrucksstarke Zeichnung des alten Mannes machte von Anfang an einen großen Eindruck und wurde schon im 16.Jahrhundert von zahlreichen Künstlern nachempfunden. Sie prägte so entscheidend das moderne Bild von Leonardos Gesichtszügen.
Die Künstler, die sich mit Leonardos Aussehen beschäftigten versuchten an Hand der existierenden verschiedenen vermeintlichen Leonardo Porträts sich ihre eigen Interpretation des Leonardo Gesichtes zu erschaffen.
Eines der bekanntesten Beispiele für diese Vorgehensweise der fiktiven Kopie ist das Gemälde von Lattanzio Querena. Man kann deutlich erkennen, dass die Turiner Zeichnung des alten Mannes in ihrem Ausdruck das Vorbild für dieses Leonardo Portrait war. Die Gesichtszüge im Gemälde Querenas orientieren sich aber auch noch an anderen fiktiven Abbildungen von Leonardos Gesicht, die ich ihnen im folgenden vorstellen werde. Das Querena Gemälde  wurde Mitte des 19.Jahrhunderts gemalt und befindet sich im Musei Civici Eremitani, Museo D'Arte Medievale in Padua.


Abbildung 12: Lattanzio Querenas Gemälde von Leonardos Gesicht

Leonardos Gesichtszüge wurden vom 17. bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert in zahlreichen Stichen, Holzschnitten und Lithographien vervielfältigt und gezeigt. Leider wurden diese Porträts Leonardos nach Vorlagen angefertigt, die erst lange Zeit nach Leonardos Tod 1519 entstanden und somit eher als imaginative Bilderfindung bezeichnet werden müssen.
Leonardo wird in diesen Abbildungen immer wieder mit einer Kopfbedeckung und einem Vollbart dargestellt. Man kann, wenn man sich diese Abbildungen Leonardos im Vergleich ansieht erkennen, dass es mehrere Gesichtstypen gab, die zahlreich untereinander kopiert wurden. Die meisten dieser Kopien, gehen auf ein Gemälde zurück welches sich in den Uffizien in Florenz befindet. 
Dieses Gemälde ist mit Sicherheit eineWiederholung des Stiches von Vasari. Diesen Stich hatte Vasari als Illustration für seine Leonardo Biographie entworfen. Der Stich zeigt allerdings Leonardos Gesicht aus einer anderen Perspektive, nicht schräg von vorne sondern im Profil.
Schon als junger Mann hatte Leonardo, wie in verschiedenen Quellen berichtet wird, langes lockiges Haar, welches schon früh ergraute.
Ab ungefähr 1482, also zum Zeitpunkt seines Umzuges nach Mailand, ließ sich Leonardo einen Vollbart wachsen, der im Laufe der Jahre immer länger wurde und sein Aussehen deutlich veränderte.
Dieses Gesicht mit dem Vollbart und den langen grauen Haaren taucht in allen späteren Darstellungen Leonardos immer wieder auf.
Der Ursprung dieser Darstellung waren also die mündliche Überlieferung und/oder der von Vasari entworfene Stich der Leonardos Biographie in seiner Sammlung von Künstler Biographien ("Vite") voran gestellt ist:


Abbildung 13: Der Stich aus Vasaris Schrift „Le vite  deipiù eccellenti architetti, pittori et scultori italiani“

Der 1511 geborene Maler und Schriftsteller Giorgio Vasari veröffentlichte 1550 erstmals unter dem Titel „Le vite dei più eccellenti architetti, pittori et scultori italiani“ und in einer erweiterten und überarbeiteten Fassung 1568 sein Hauptwerk.
Die in diesen Künstler Biographien beschriebenen bedeutenden Renaissance Künstler lebten in der Zeit von 1280 bis 1550. Vasari beschäftigt sich aber überwiegend mit Künstlern aus der Toskana und Umbrien.
Diese Hauptquelle zum Leben Leonardos ist nach wie vor von größter Bedeutung für die Leonardo Forschung.  
Vasari wurde oft wegen Ungenauigkeiten gescholten. Seine Biographien sind auch sicherlich mit einigen Erfindungen und Anekdoten ausgeschmückt.
Diese Erfindungen und Ausschmückungen Vasaris verfolgten aber immer den konkreten Zweck die Persönlichkeit der dargestellten Künstler zu verdeutlichen.
Ich werde in meinen nachfolgenden Ausführungen hier mehrfach aus der Vasari Biographie über Leonardos und der Vasari Biographie über Leonardos Meisters Andrea Verrocchio sowie anderen Vasari Biographien zitieren. Diese Vasari Zitate sollen vor allem verständlich machen, was für eine Persönlichkeit Leonardo war.


Abbildung 14: Vasaris Porträt in den Viten

Die nächste Abbildung ist das bereits erwähnte Gemälde aus den Uffizien, welches Leonardos Gesicht zeigen soll und später in zahlreichen Stichen und Lithographien wiederholt wurde:


Abbildung 15: angebliches Selbstbildnis Leonardos, unbekannter lombardischer Maler des 16.Jahrhunderts

Wenn man den Stich und das Gemälde vergleicht, erkennt man deutlich, dass die Form der Nase und die Haare sowie der lange strähnige Vollbart dem Stich Vasaris nachempfunden wurden, während alles weitere natürlich eine reine Erfindung des unbekannten Künstlers war.


Abbildung 16: Vergleich desGemäldes in den Uffizien mit dem Leonardo Stich in den VitenVasaris.

Hier nun zwei Stiche des 19.Jahrhunderts, die sowohl die  Perspektive und das Aussehen Leonardos betreffend Kopien des Gemälde aus den Uffizien sind:


Abbildung 17: Zwei imaginative Leonardo Portraits des 19.Jahrhunderts

Wie Sie in diesem Kapitel an Hand einiger Beispiele gesehn haben, ist die Vorstellung von Leonardos Aussehen geprägt durch zahlreiche Abbildungen seines Gesichtes, die reine Fiktion sind oder aber auch durch Zuschreibungen, die leider zweifelhaft oder falsch sind. Im folgenden zweiten Teil werde ich Ihnen nun ein anderes Leonardo Gesicht zeigen, welches nichts mit den zuvor gezeigten Abbildungen, eines einen alten vollbärtigen Mannes zu tun haben.


ZweiterTeil
Auf der Suche nach den tatsächlichen Gesichtszügen des jungen Leonardo

Ich werde Sie nun zurückversetzen in die Zeit von Leonardos Ausbildung zum Künstler in der Werkstatt von Andrea Verrocchio. 
Hören wir zunächst was Vasari dazu berichtet:

„ Der Knabe (Leonardo) trat hier (= in die Werkstatt) ein …..“   und
„ Er (Leonardo) kam wie ich schon sagte in seiner Kindheit durch Ser Piero seinen Vater zu Andrea del Verrocchio in die Lehre.“

Schon immer wurde diese Aussage Vasaris angezweifelt, aber im folgenden werden sie Darstellungen Leonardos sehen, die nahe legen, dass Leonardo tatsäc
hlich schon im zarten Alter von ungefähr 10 Jahren in AndreaVerrocchios Werkstatt arbeitete.

Über die Kindheit und Jugend sowie über die Lehrzeit von Leonardos Lehrmeister Andrea Verrocchio ist nur weniges bekannt geworden.
Er wurde als Andre di Michele di Francesco di Cione um 1435 geboren und absolvierte wahrscheinlich ab ungefähr 1450 eine Lehre als Goldschmied bei Giuliano Verrocchi, dessen Namen er auch annahm.

Wo Andrea in die anderen Künste, die er ebenso wie sein Meister Schüler Leonardo virtuos beherrschte, eingewiesen wurde ist unbekannt.
Man kann aber sicher davon ausgehen, dass er 

noch in mindestens einer der damals bedeutenden Florentiner Werkstätten arbeitete, da seine künstlerische Bildung außerordentlich umfangreich und vielfältig war.

Vasari beschreibt die Vielseitigkeit Verrocchios:
„ DerFlorentiner Andrea del Verrocchio war (seiner Zeit) Goldarbeiter,Perspektiv Zeichner, Bildhauer, Holz Schneider, Maler und Musikus.“

Schauen Sie sich jetzt bitte ein Gemälde an, welches Perugino zugeschrieben wird. Perugino der eigentlich Pietro Vannucci hieß wurde um 1446 geboren und vervollständigte seine Ausbildung um 1466 in Andrea Verrocchios Werkstatt.
Dort lernte er neben anderen bekannten Renaissance Künstlern so bedeutende Maler wie Domenico Ghirlandeio und den noch jungen Lorenzo die Credi sowie auch den jungen Leonardo da Vinci kennen.


Abbildung 18: Perugino Anbetung der Könige  Galleria Nationale del Umbria

Dieses Gemälde befindet sich in der Galleria Nationale del Umbria in Perugia. Es ist wahrscheinlich nach Peruginos Ausbildung in der Verrocchio Werkstatt um 1476 in Perugia entstanden. Mir fiel sofort auf, dass sich am linken Rand in der Ansammlung von „Weisen aus dem Morgenland“, der damals ungefähr 20 Jahre alte Perugino selbst befand.


Abbildung 19: Detail 1 aus der Anbetung der Könige von Perugino Peruginos Selbstporträt

Wenn das Bild tatsächlich wie ein Teil der Forschung annimmt 1476 entstand, hat sich Perugino hier jünger gemalt als er zum Zeitpunkt der Entstehung des Gemäldes war. Das ist nicht ungewöhnlich, wenn man in Betracht zieht, dass Perugino dazu wahrscheinlich eine Zeichnung einer seiner damaligen Mitstreiter in der Werkstatt benutzte, die dieser von ihm angefertigt hatte. Dieser Mitschüler könnte Domenico Ghirlandeio gewesen sein.
Ich habe zu dem Gemälde stilistische Vergleiche der Gemälde von Perugino und Domenico Ghirlandeio durchgeführt und bin zu dem Schluss gekommen, dass dieses Gemälde ein Gemeinschaftswerk der beiden Maler ist. Es ist auch sehr gut möglich, dass der Entwurf dieses Bildnis in der Verrocchio Werkstatt entstand.
Mit der nächsten Abbildung können sie ein anderes vermutliches Selbstbildnis von Perugino sehen. Es ist ein Ausschnitt aus den Fresken der Sala d'Udienza im Collegio del Cambio in Perugia. Perugino malte dieFresken zwischen 1496 und 1500 war damals also schon über 40 Jahre alt:


Abbildung 20: Vermutliches Selbstbildnis Perugino aus den Fresken der  Salad'Udienza

Hiernochmals die beiden Perugino Selbstportraits im Vergleich:


Abbildung 21: Der Vergleich der Perugino Selbstportraits
Ich habe das Bild des jungen Perugino links gespiegelt, um zu verdeutlichen, dass es sich bei beiden Selbstportraits um Perugino handelt.
Da es in der Renaissance sehr oft üblich war, dass die Person in dem Gemälde, die den Betrachter anblickt immer der Künstler selbst ist, kann man normalerweise davon ausgehen, dass Perugino tatsächlich der entwerfende Maler des Gemäldes ist.
Dass es sich möglicherweise um eine Arbeit der Verrocchio Werkstatt handelt wird vor allem noch klarer, wenn man sich die dargestellten „Weisen aus dem Morgenland“ genauer ansieht.
Tatsächlich sind die dargestellten „Weisen“ reale Personen und es ist in dem Gemälde zumindest ein Teil der  Mitarbeiter der Verrocchio Werkstattum 1470 dargestellt.


Abbildung 22: Detail 2 aus dem Perugino Gemälde, Mitarbeiter der Verrocchio Werkstatt

Ich werde Ihnen nun von links nach rechts diese vorstellen und ihnen immer Vergleichs Bilder zeigen, die belegen, dass die Dargestellten mit großer Wahrscheinlichkeit  Perugino, Leonardo da Vinci, Domenico Ghirlandaio und Andrea Verrocchio sind.
Da das Gemälde einen jüngeren Perugino zeigt ist die Zusammenstellung der Personen eine Bild Erfindung.
Perugino benutzte wahrscheinlich Zeichnungen, die er in der Zeit als er in Verrocchios Werkstatt arbeitete von seinen Werkstatt Kollegen angefertigt hatte, bzw. um 1476 selbst anfertigte.
Domenico Ghirlandeio hat auch eine Anbetung der Könige von 1485 bis 88 gemalt. Zwischen den beiden Gemälden, die natürlich schon durch das gleiche Thema Ähnlichkeiten aufweisen gibt es aber erstaunliche Parallelen, die über die zufälligen Übereinstimmungen weit hinausgehen.



Abbildung 23: Detail 3 aus Peruginos Gemälde, die Darstellung Leonardo da Vincis


Vasari erzählt über Leonardos Aussehen:
„sein Körper war mit nie genugsam gepriesener Schönheit geschmückt. “

Leonardo hält ein kostbares silbernes Gefäß in der linken Hand und strahlt in seiner Gestik und mit seinem Geschtsausdruck sehr viel Erhabenheit, Grazie und Stolz aus.

Sehen wir uns nun sein Gesicht genauer an.


Abbildung 24: Detail 4 aus Peruginos Gemälde, das Gesicht Leonardos

Wir sehen hier das fein geschnittene, stolze fast schon aristokratisch wirkende Gesicht eines jungen Mannes. Perugino arbeitete bis 1472 in der Verrocchio Werkstatt. Leonardo war also damals 20 Jahre alt. Beachten sie bitte auch das deutlich geformte Kinn Leonardos, sowie den Mund mit leicht überstehender Oberlippe.
Leonardo ist hier mit langem lockigen braunen Haar dargestellt, was auch immer wieder so berichtet wurde. Das edle Gesicht des jungen Leonardo hat durchaus weiche eher weibliche Züge.
Leonardo wirkt nachdenklich, fast wie in sich gekehrt.

In der Mitte der Gruppe rechts neben Leonardo sehen wir das Gesicht eines älteren Herren mit einer blauen Kopfbedeckung. Es handelt sich wahrscheinlich um Andrea Verrocchio. Es gibt nur eine Selbstporträt Zeichnung Verrocchios gearbeitet mit Tinte und Silberstift, sowie mit weiß gehöht, die man als authentisch bezeichnen kann. Dieses Selbstporträt Verrocchios wird datiert zwischen 1468 und 1470. Sie befindet sich in den Uffizien in Florenz.
Zunächst sehen sie sich diese außergewöhnlich ausdrucksstarke Zeichnung bitte an. Sie zeigt überzeugend, dass Verrocchio ein Meister der Zeichenkunst war. 



Abbildung 25: Selbstporträt Andrea Verrocchios, Uffizien Florenz

Es blickt uns ein sehr aufmerksamer Künstler an, der ein sehr männliches ausdrucksstarkes Gesicht hat. Interessant ist der Vergleich mit den weichen und weiblichen Zügen Leonardos.

Vasari drückt Verrocchios Männlichkeit so aus:
„Er hatte jedoch in der Bildhauer und Malerkunst eine etwas harte und schroffe Methode, gleich jemand, der sie mehr durch unendliches Studium als durch die Gabe der Natur erwirbt.“

Ich habe zu der Zeichnung den  Ausschnitt des Gemäldes welcher Verrocchios Gesicht zeigt, gespiegelt und gedreht hinzugefügt, um den Vergleich zu erleichtern.


Abbildung 26: Detail 5 aus Peruginos Gemälde, das Porträt von Andrea Verrocchio

Von den weiteren Personen, die in Peruginos Gemälde dargestellt sind fällt vor allem der Weise etwas weiter vorne mit dem Vollbart auf. Diese Person blickt hin zu Verrocchio, Leonardo sowie Perugino und man kann sich gut vorstellen, dass diese drei Personen miteinander bekannt sind.  Ich möchte ihnen zunächst ein Selbstportrait von Domenico Ghirlandeio zeigen.

Abbildung 27: Selbstporträt Domenico Ghirlandeios aus dem Gemälde „Anbetung der Hirten“,  Kirche Santa Trinita in Florenz



Das Gemälde „Anbetung der Hirten“ wurde von Domenico 1480 gemalt.
Hier nun der Vergleich der beiden Gesichter aus beiden Gemälden. Ich habe natürlich auch hier wieder das Gesicht aus dem Perugino Gemälde etwas gedreht und gespiegelt, um den Vergleich zu erleichtern.


  Abbildung 28: Vergleich der Selbstportraits Domenico Ghirlandeios


Es ist nicht ungewöhnlich, dass man damals Personen etwas anders gemalt hat, als sie wirklich aussahen. In diesem Fall gab es aber einen konkreten Anlass. Ich glaube, dass Domenico Ghirlandeio sich in dem Perugino Gemälde selbst dargestellt hat, aber seine Mitarbeit an dem Gemälde verschleiern wollte und sich deshalb mit dem Vollbart gemalt hat.
Ich werde ihnen nun das zuvor erwähnte andere Gemälde dieses Malers vorstellen, welches mit dem zuvor besprochenen einiges zu tun hat.
Ich fand dieses Gemälde sehr rasch, weil ich begann die Werke von Künstlern der Verrocchio Werkstatt nach Kunstwerken zu durchsuchen, die ebenfalls die Gesichtszüge Leonardos zeigen. Ich werde ihnen nun dieses Gemälde von Domenico Ghirlandeio sowie danach weitere  Werke aus der Verrocchio Werkstatt vorstellen und diese erläutern.


Abbildung 29: Domenico Ghirlandeio Anbetung der Könige,  Ospedale degli Innocenti in Florenz


Links neben Maria steht ein Jüngling der einen gelben Umhang über die Schulter geworfen hat. Nun sehen wir uns den Jüngling näher an. Er hält ein edel gearbeitetes, kostbares Glas in der linken Hand. Erinnern wir uns, es ist die Geste Leonardos in dem Perugino Gemälde, auch die Körper Haltung ist ähnlich.

Abbildung 30: Detail 1 Ausschnitt aus Domenico Ghirlandeios Anbetung der Könige, Ospedale degli Innocenti in Florenz


Ich möchte ihnen auch den direkten Vergleich der beiden Darstellungen Leonardos nicht vorenthalten. Man kann hier deutlich erkennen, dass die Lage des Überwurfs sehr ähnlich ist in beiden Gemälden. Die Haltung des rechten Armes und der rechten Hand sind fast identisch. Beide Figuren halten in ihrer linken Hand ein kostbares Gefäß. Leonardo war bekanntlich ein Linkshänder.


Abbildung 31: Vergleich der Abbildungen Leonardos in beiden Gemälden

Interessant ist auch, dass bei beiden Gemälden sich der ausführende Künstler, hinter Leonardo befindet und den Betrachter anblickt.
Sehen wir uns nun das Gesicht des jungen Leonardo im Detail an.



Abbildung 32: Detail 2 aus der Anbetung der Könige von Domenico Ghirlandeio 


Wir erkennen wieder ein sehr mädchenhaft wirkendes Gesicht. Der Ausdruck ist ähnlich dem Perugino Gemälde nachdenklich, fast meditativ. Die langen gelockten Haare sind hier noch etwas heller, was aber durchaus möglich ist, da hier Leonardo einige Jahre jünger gezeigt wird, als in dem Perugino Gemälde. Vielleicht wollte Domenico Ghirlandeio auch die Weiblichkeit Leonardos noch mehr betonen. Domenico Ghirlandeio hat natürlich nach einer Vorlage gearbeitet, die viel früher in der Verrocchio Werkstatt angefertigt wurde, Ich werde später auf diesen wichtigen Punkt noch näher eingehen.
Der hier dargestellte ungefähr 15 jährige Leonardo hat eine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem linken Engel in der Taufe Christi, den Leonardo selbst gemalt hat. Das Gemälde befindet sich in den Uffizien in Florenz.
Es wurde schon seit langem als eine Werkstattarbeit der Verrocchio Werkstatt angesehen und man konnte nach ausgiebigen Untersuchungen mittlerweile nachweisen, dass mindestens drei unterschiedliche Künstler an diesem Gemälde beteiligt waren. Andrea Verrocchio hat auf jeden Fall Johannes den Täufer und Christus entworfen und teilweise gemalt.

Vasari berichtet auch über die Arbeit an diesem Gemälde:

„Er (Leonardo) kam, wie ich schon sagte in seiner Kindheit durch Ser Piero seinen Vater zu Andrea del Verrocchio in die Lehre. Dieser arbeitete an einer Tafel, wie St. Johannes Christus tauft. Leonardo malte darin einen Engel, der einige Gewänder hält. Obwohl sehr jung noch führte er doch diese Gestalt so vollkommen zu Ende, dass sie ein besseres Aussehen gewann, als die Figuren seines Meisters und Andrea ungeduldig (=unduldsam?, beschämt), dass ein Junge mehr wisse als er mochte er von dieser Zeit an nicht mehr mit Farben umgehen.“

Diese Beschreibung Vasaris von Leonardos Maler Talent ist der Hauptgrund, warum die meisten Forscher Vasaris Erzählung der Lehrzeit Leonardos in Zweifel ziehen.
Wahrscheinlich ist aber, dass Vasari durch diese Übertreibung darauf anspielen wollte, dass Verrocchio seine Talente als Maler nicht sehr hoch schätzte und dass Leonardo das Talent welches seinem Meister fehlte im Überfluss besaß. Ein weiter Grund war, dass Vasari das engelhaft weibliche Aussehen Leonardos verschleiern wollte, erinnern wir uns nochmals daran was uns Vasari zu Leonardos Aussehen mitteilte:

„sein Körper war mit nie genugsam (=ausreichend) gepriesener Schönheit geschmückt“

Ich denke, dass diese Bemerkung Vasaris auf den Homosexualität Verdacht anspielt, dem Leonardo ja im Saltarelli Prozess ausgesetzt war. Ich werde später noch ausführlich auf dieses Ereignis eingehen. Vasari war klar, dass mit diesem schönen Mann, der gepriesen wurde, wohl kaum der Leonardo gemeint war, der sein Frauen Gesicht unter langen grau blonden Bart Haaren versteckte. Ich denke, dass Vasari überzeugt war, dass Leonardo homosexuellen Neigungen nachging und er deshalb vor allem eine wichtige Information unterdrückte, die aber aus den Kunstwerken der Werkstatt klar ablesbar ist. Leonardo arbeitete als ungefähr 10 jährige Knabe zunächst dort als Modell. So wurde sein Gesicht für zahlreiche Engels Darstellungen verwendet.


Abbildung 33: Die Taufe Christi, Verrocchio Werkstatt, Uffizien Florenz

Hier nun der vergrößerte Ausschnitt des Engels aus der Taufe Christi, den nach übereinstimmender Meinung der meisten modernen Kunst Historiker Leonardo selbst gemalt hat, im Vergleich mit den zuvor gezeigten Leonardo Gesicht in Domenico Ghirlandeios Gemälde.


Abbildung 34: Vergleich der beiden Leonardo Gesichter aus der Anbetung der Könige von Domenico Ghirlandeio und der Taufe Christi der Verrocchio Werkstatt.


Somit haben wir nun gezeigt, dass der Engel in der Taufe Christi eines der ersten Selbstbildnisse Leonardos ist. Leonardo betont hier sogar noch mehr die weiblichen Züge seines Gesichtes als es Domenico Ghirlandeio getan hat. Anschließend zeige ich Ihnen nochmals den Engel welchen Leonardo gemalt hat etwas größer dargestellt.
Bewundernswert gemalt sind die prächtigen Haar Locken, die wie Wasserwellen die Schultern hinabfließen. Leonardo hatte braune Augen. Wir erkennen wieder das ausgeprägte Kinn und die hervorstehende Oberlippe. Leonardo hat sich nicht so nachdenklich dargestellt, wie ihn Perugino und Domenico Ghirlandeio sahen. Sein Blick ist eher wach und beseelt von einem besonderen Ereignis, dem er beiwohnt.
Die Beschreibung Vasaris von Leonardos Maler Talent ist der Hauptgrund, warum die meisten Forscher Vasaris Erzählung aus der Lehrzeit Leonardos in Zweifel ziehen.
Wahrscheinlich ist aber wie bereits gesagt, dass Vasari durch diese Übertreibung darauf anspielen wollte, dass Verrocchio seine Talente als Maler nicht sehr hoch schätzte und dass Leonardo das Talent welches seinem Meister fehlte im Überfluss besaß


Abbildung 35: Detail aus der Taufe Christi, das Selbstbildnis Leonardos als Engel


Auch hier hat sich Leonardo jünger dargestellt als er zum Zeitpunkt der Arbeit an der Taufe Christi war. Es ist gut möglich, dass er dazu eine Studie seines Gesichtes von seinem Lehrers Andrea Verrocchio oder einer seiner Mitschüler benutzte.
Der Vergleich der zuvor besprochenen drei Kunstwerke zeigt erstaunliche Übereinstimmungen in den Gesichtszügen, vor allem von Kinn, Mund und Nase.
Weil diese Arbeiten alle den jungen Leonardo ohne Bart zeigen sind diese Gesichtszüge auch individueller und leichter identifizierbar, als die spätere Vereinheitlichung der Merkmale des Gesichtes durch den dichten Vollbart.

Durch meine ausführlichen Recherchen zu allen Werken, die im Umfeld der Verrocchio Werkstatt und in dieser entstanden konnte ich weitere erstaunliche Kunstwerke finden, die Leonardos Gesicht zeigen.

Eines der Meisterwerke der Werkstatt ist eine Darstellung des etwa 24 jährigen Leonardo. Es handelt sich um ein wunderbar ausgearbeitetes Marmor Relief, welches Alexander den Großen zeigt.
Dieses Relief wird von der Forschung mehrheitlich der Verrocchio Werkstatt zugeschrieben.
Diese Arbeit war für meine Forschungen auch von besonderer Bedeutung, weil sie Leonardo im Profil ohne Vollbart zeigte. Ich wollte ja die berühmte Melzi zugeschriebene Profil Zeichnung entsprechend ergänzen. Beim Studium des Reliefs fiel mir sofort auf, dass Alexander hier in einer geradezu phantastischen Art und Weise dargestellt wurde.
Sowohl der Helm als auch die Rüstung Alexanders sind mit Relief Darstellungen verziert, die auf antike Mythen und Sagen hinweisen.
Man erkennt beispielsweise einen wunderbar gearbeiteten Drachen und  ein Gorgonen Haupt mit weit aufgerissenem Mund in der Mitte der Rüstung. Es gibt eine ganze Reihe von Werken aus dem Umfeld der Verrocchio Werkstatt, die ähnlich ausgeschmückt sind.
Ich erinnerte mich beim ersten Studium des Alexander Reliefs sofort an eine andere Leonardo Zeichnung, die im Britischen Museum aufbewahrt wird und zu den frühesten bekannten Zeichnungen Leonardos zählt.
Sie ist in Silberstift Technik auf präpariertem Papier ausgeführt und wird frühestens auf ungefähr 1475 datiert. Die Forschung ist sich aber einig, dass die Zeichnung in Florenz entstanden ist. Diese Zeichnung wird auch immer wieder mit dem dem Kopf des Colleoni aus dem Reiterstandbild, welches sich in Venedig befindet, verglichen. Der Colleoni war das letzte Werk an dem Verrocchio arbeitete. Er krönte mit ihm sein Lebenswerk. Leider verstarb Verrocchio 1488 im Alter von 53 Jahren und konnte den Guss des Standbildes nicht mehr miterleben.


Abbildung 36: Leonardo da Vinci Zeichnung eines Kriegers, Silberstift auf präpariertem Papier, datiert 1475 bis 1480



Abbildung 37: Verrocchio Werkstatt, Alexander der Große, Reliefplatte aus Marmor entstanden zwischen 1483 und 1485, National Galerie Washington


Sollte die Datierung des Reliefs zutreffen muss aber der Entwurf für diese Platte schon viel früher in den siebziger Jahren entstanden sein, denn wir sehen hier einen höchstens 24 Jahre alten Leonardo dargestellt.
Das Alter Leonardos in der Darstellung lässt sich aus dem ableiten, was zu diesem Relief Vasari zu berichten hat:

„ Derselbe Künstler (=Verrocchio) verfertigte ebenfalls halberhaben (=als Relief) zwei Metallköpfe, so dass jeder ein Bild für sich macht (=unterschiedlich), Alexander den Großen im Profil genommen und Darius  den er nach eigener Idee darstellte.
Beide unterschied er in Helmschmuck Panzer und allen anderen Dingen.
Diese Bilder (=Reliefs) wurden von dem erlauchten Lorenzo von Medici dem Älteren zugleich mit anderen Sachen an König Matthias Corvinius von Ungarn geschickt.“

Die Heirat von Beatrice Este mit Matthias Corvinius fand 1476 statt, als Leonardo 24 Jahre alt war.
Die wirkliche Auftraggeberin für diese Kunstwerke war wahrscheinlich Eleonora von Aragon, die Mutter von Isabelle d'Este, die wahrscheinlich die Werkstatt Verrocchios besuchte. Somit ist es möglich, dass Isabella aus Anlass der Hochzeit ihrer Schwester Beatrice mit Matthias Corvinius das erste mal eine Abbildung von Leonardo sah.
Ich werde auf diese Ereignisse später nochmals im Zusammenhang mit der Gioconda eingehen.
Vasari beschreibt, dass nur der Darius von Verrocchio erfunden war, was ebenfalls dafür spricht, dass der Alexander nach einer Zeichnung von Leonardo gearbeitet wurde vor allem wenn man bedenkt, dass der dargestellte Leonardo selbst war.
Wie in der Werkstatt Arbeit üblich wurden von diesem erfolgreichen Motiven Kopien in unterschiedlichen Materialien angefertigt. Die an den ungarischen König verschenkten gegossenen Originale sind leider verloren gegangen.

Ich möchte ihnen nochmals das Gesicht Leonardos in dem Relief vergrößert zeigen.


Abbildung 37: Detail aus dem Alexander Relief, Leonardos Profil

Wieder sehen wir dasselbe Kinn und die etwas hervorstehende Oberlippe wie in den zuvor gezeigten Gemälden.
Es gibt ein Blatt aus den Schriften Leonardos in den königlichen Sammlungen im Windsor Castle mit der Nummer RCIN 919093 auf dem Studien zum Herzen und das Profil eines Jungen zu sehen sind.
Das Blatt wird in die späte Phase Leonardos datiert zwischen 1511 und 1513.
Das Profil des Jungen weist eine große Ähnlichkeit mit Leonardos Profil im Alexander Relief auf.
Leonardo hat sich wiederum ähnlich wie beim Engel der Taufe Christi mit sehr weiblichen Attributen gezeichnet.
Vielleicht hat sich Leonardo hier an die zahlreichen Studien zu seinem Engels Gesicht aus der Verrocchio Werkstatt erinnert. 

Hier der Vergleich der Zeichnung mit dem Profil des Alexander Reliefs:


Abbildung 38 : Vergleich der Profile Leonardos

Vasari gibt uns auch eine simple Erklärung, warum Leonardo als Modell in der Verrocchio Werkstatt arbeitete :
„sein Körper war mit nie genugsam gepriesener Schönheit geschmückt. “

und fast am Ende seiner Leonardo Biographie:
„...der Glanz seines schönen Angesichtes erheiterte jedes traurige Gemüt.....“

Leonardo hatte als Knabe, wie wir noch zeigen werden, sowie auch als Jüngling ein mädchenhaftes Engelsgesicht. Sein Gesicht und sein Körperbau beeindruckte nicht nur seine Umwelt. Man kann davon ausgehen, dass Leonardo auch deshalb bewundert, wenn nicht geliebt wurde. Wiederum spielt Vasari auf Leonardos Homosexualität an.
Man kann davon ausgehen, dass der junge Leonardo in den Augen eines Künstlers vom Schlage eines Verrocchio das ideale Modell darstellte für einen bestimmten männlichen Typ, der wegen seiner hervorstechenden weiblichen Merkmale sehr selten war. Somit ist es kein Wunder, dass des jungen Leonardos Gesicht und Körperbau in einer Vielzahl, der in der Werkstatt angefertigten Werke als Vorlage verwendet wurden. Die Werkstatt Mitarbeiter und Schüler arbeiteten in der Regel nach von Andrea Verrocchio angefertigten Zeichnungen oder Skulpturen.  
Ich gehe davon aus, dass Verrocchio im Laufe der Jahre mehrfach solche Modelle von Leonardos Aussehen anfertigte.

Vor kurzem wurde eine Christus Büste aus Terrakotta von Martin Kemp in seinem Leonardo Buch in der überarbeiteten Fassung von 2011 vorgestellt, die dieser Leonardo zuschreibt.


Abbildung 39: Christus oder Jünger Johannes aus der Verrocchio Werkstatt, Privatsammlung


Es gibt unter Kunsthistorikern schon seit ungefähr 130 Jahren den Streit in wie weit Leonardo selbst als ausführender Bildhauer in der Verrocchio Werkstatt arbeitete. Wir wissen aus den zuvor gezeigten Kunstwerken, dass Leonardo zumindest am Entwurf von Bildhauer Arbeiten beteiligt war. Da das hier gezeigte Christus Gesicht Leonardo selbst ist, spricht vieles meiner Meinung nach auch dafür, dass Leonardo die Skulptur angefertigt hat.
Es war in der Werkstatt Verrocchios üblich, dass Entwürfe für größere Kunstwerke, wie beispielsweise das Forteguerri Kenotaph in Pistoia, zunächst in Tonerde angefertigt wurden. Das Anfertigen von solchen Entwürfen war ein fester Bestandteil der Ausbildung und Werkstattarbeit.
Man kann also davon ausgehen, dass auch Leonardo solche Entwürfe anfertigte.
Das Gesicht in der Büste zeigt eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einer Leonardo Zeichnung, die ein Selbstporträt Leonardos ist und sich in ebenfalls im Windsor Castle in der königlichen Bibliothek der Windsors befindet (RCIN 912300). Hier der Vergleich zwischen den beiden Gesichtern.

Abbildung 40: Vergleich einer Leonardo Selbstportrait Zeichnung mit dem Christuskopf


Ich habe die etwas blasse Original Zeichnung mit Kontrast überarbeitet, sowie rechts gespiegelt und gedreht, damit der Vergleich erleichtert wird.
Auch in der Zeichnung erkennt man trotz des dichten Bartes eine gewisse Weichheit und Weiblichkeit der Züge. Dies gilt besonders für die Augenpartie.
Interessant ist auch der Vergleich des Christus mit der Abbildung Leonardos in dem zuerst besprochenen Perugino Gemälde.


Abbildung 41: Vergleich des Gesichtes Leonardos in der Anbetung von Perugino mit dem Terrakotta Christus 


Da die Photographie der Skulptur dieselbe Perspektive wie die Malerei von Leonardos Gesicht zeigt sind die Übereinstimmungen der beiden Gesichter verblüffend.
Ich denke, dass mit den bereits gezeigten Kunstwerken, die alle Leonardo abbilden, klar geworden ist, dass sein Gesicht nichts mit den traditionellen Vorstellungen zu tun hat. Ich habe auch mehrfach aufgezeigt, dass Leonardo sehr weibliche Gesichtszüge hatte. Ich bin aber nicht davon überzeugt, dass Leonardo homosexuell war und ich werde in den folgenden  Kapiteln nach und nach zeigen was für eine Persönlichkeit Leonardo war und warum ich denke, dass Leonardo eine besondere Beziehung zu Frauen und keine besondere Beziehung zu Männern pflegte.
Ich möchte Ihnen die bis jetzt besprochenen Kunst Werke der Verrocchio Werkstatt, die alle Leonardos Gesicht zeigen hier nochmals im Überblick zeigen. Rechts unten, neu hinzugekommen, sehen sie das Gesicht des ungläubigen Thomas welcher sich außen am Orsanmichele in Florenz befindet. Die beiden Bronze Statuen Christus und St. Thomas sind ein Hauptwerk der Verrocchio Werkstatt.
Anschließend werde ich Kunstwerke aus der Werkstatt vorstellen, die Leonardo als Knaben zeigen. 


Abbildung 42: Vergleich einiger Kunstwerke der Verrocchio Werkstatt, die Leonardo zeigen.


Man muss allerdings beachten, dass in vereinzelten Fällen das Gesichts Modell Leonardos abgewandelt und idealisiert wurde, so dass sich beispielsweise die Haarfarbe ändert oder wie beim Thomas die Nase und das Kinn etwas männlicher ausfallen.
Wir sehen in dieser Zusammenstellung Leonardo im Alter von etwa 15 bis 24 Jahren. Leonardo war aber schon vorher ein Modell in der Verrocchio Werkstatt. Da sein Gesicht sehr mädchenhaft wirkte lag es nahe, dass Verrocchio in ihm das ideale Modell für Engelsgesichter sah. Er fertigte also auch nach Leonardos Kinder Gesicht Vorlagen an, nach denen seine zahlreiche Schüler üben und arbeiteten mussten.

Einige der Engel für die Leonardo Modell stand zeigen einen ungefähr 9 bis 12 jährigen Knaben.

Abbildung 43: Vergleich der Gesichter des jungen Leonardo


Vasari schreibt:
„ Der Knabe (Leonardo) trat hier (= in die Werkstatt) ein …..“
und
„ Er (Leonardo) kam wie ich schon sagte in seiner Kindheit durch Ser Piero seinen Vater zu Andrea del Verrocchio in die Lehre.“

Hier nochmals die vergrößerte Abbildung eines Engels des Forteguerri Kenotaphs, welcher die Gesichtszüge des jungen Leonardo hat.


Abbildung 44: Gesicht eines Engels aus dem Forteguerri Kenotaph, Kathedrale San Zeno, Pistoia 


Das Forteguerri Kenotaph gehört zu den Spätwerken der Verrocchio Werkstatt und war zum Zeitpunkt von Verrocchios Tod noch unvollendet und wurde erst im späten 16. Jahrhundert fertig gestellt.
Trotzdem ist es möglich, dass der Engel das Gesicht Leonardos zeigt, weil auch hier, wie bei einigen der bereits vorgestellten Kunstwerke, nach einem Modell der Werkstatt gearbeitet wurde. Ich werde später in dem Kapitel welches sich mit der Gioconda beschäftigt in einem weiteren Bild Vergleich zeigen, warum dieser Engel das Gesicht des jungen Leonardo zeigt.

Die Tatsache, dass Leonardo sehr früh mit ungefähr 10 Jahren wenn man Vasari folgt, schon in die Werkstatt eintrat, wird aber immer wieder von der Forschung in das Reich der Fabeln und Legenden verwiesen.
Ein später Eintritt in die Werkstatt um 1469 wie auch immer wieder behauptet wird, ist aber schwer vorstellbar, da schon 1470, also im Alter von 18 Jahren, Leonardo über eine erstaunliches Repertoire von Ausdrucksmitteln als Zeichner verfügte und es selbst bei größter Begabung nicht vorstellbar ist, dass er diese Fähigkeiten in nur einem Jahr erwarb.
Wir haben aber an Hand der Kunstwerke gezeigt, dass Leonardo sehr wohl als Knabe als Modell für die Werkstatt arbeitete und somit genug Zeit hatte mit der Hilfe seines Lehrmeisters und der älteren Werkstatt Mitarbeiter zu einem überragenden Zeichner und universell ausgebildeten Künstler zu reifen.
Auch die Kunstwerke, die viel später angefertigt wurden verwendeten Leonardos Gesicht als Modell, wie bereits gezeigt wurde. Andrea Verrocchio hatte von Leonardos Gesichtszügen Zeichnungen oder vielleicht auch eine Porträt Skulptur aus Ton anfertigt, welche er für den Zeichenunterricht seiner Schüler verwendete.
Es ist natürlich wesentlich schwerer mit Sicherheit Werkstattarbeiten zu identifizieren, die bereits den Knaben Leonardo zeigen, da Knaben grundsätzlich in stark idealisierter Form dargestellt wurden.
Da es aber diese erstaunlich große Anzahl von Arbeiten gibt, die Leonardo zeigen, ist es sehr wahrscheinlich dass dieser auch schon um 1562 im zarten Alter von 10 Jahren als Modell für Engels Darstellungen ein fester Bestandteil der Werkstatt war.
Der kinderlose Verrocchio war zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt und es ist gut möglich, dass er den mädchenhaft wirkenden Knaben mit väterlichen Gefühlen aufzog.
Leonardos Gesichtszüge ähneln also in jungen Jahren mehr einem Mädchen als einem Knaben wie ich hier nochmals im Vergleich der beiden Engel der Taufe Christi zeigen möchte. Der rechte männliche Engel ist der von Verrocchio oder einem Werkstatt Mitarbeiter nach einem Entwurf Verrocchios gemalte Engel.


Abbildung 45: Detail aus der Taufe Christi, Vergleich der beiden Engelsgesichter, Verrocchio Werkstatt.


Auch als junger Mann hatte Leonardo immer noch ein sehr weibliches Aussehen, wie man sehr schön an Hand des Alexander Reliefs sehen kann.
Diese Tatsache ist sehr interessant im Hinblick auf den Saltarelli Prozess über den ich jetzt berichten möchte.

Anfang April 1476 lag in einem der in der Stadt aufgestellten Behältnisse für Anzeigen eine anonym verfasstes Dokument, in welchem stand, dass Jacopo Saltarelli Sodomie (=Homosexualität) getrieben habe mit vier Personen.

Die dort beschuldigten Personen waren:

Jacopo di Pasquino, Goldschmied aus Vacchereccia
Lionardo di ser Piero da Vinci, wohnhaft bei Verrocchio
Baccino der Wamsmacher, wohnhaft nahe Orsanmichele....
Lionardo Tornabuoni alias „Il Terri“, der sich schwarz kleidet.

Lionardo Tornabuoni gehörte zu einer der einflussreichsten Familien in Florenz und war durch die Heirat von Piero de Medici mit Lucrezia Tornabuoni mit den Medicis verwandt.
Es gab eine Verhandlung am 9.April 1476, die aber aus Mangel an Zeugenaussagen zu keinem Ergebnis führte. Eine zweite Anhörung, die am 7.Juni stattfinden sollte kam nicht mehr zustande und es kam somit zu keiner Anklage gegen die Beschuldigten. Man kann trotzdem davon ausgehen, das Leonardo für eine gewisse Zeit in Haft war und dann freigesprochen wurde. Man geht davon aus, dass der Prozess niedergeschlagen wurde, weil man nicht die Medici in diese Affäre mit hineinziehen wollte.
Homosexualität war im Florenz des 15. Jahrhunderts nichts ungewöhnliches, so wurden von 1430 bis 1505 mehr als 10000 Männer der Sodomie beschuldigt.

Leonardo Gesichtszüge waren in seiner Jugend und als junger Mann sehr weiblich, wie bereits an Hand der Werkstatt Arbeiten gezeigt wurde. Somit wäre es auch nicht ungewöhnlich, dass es eine ganze Reihe von Männern in Leonardos Umgebung gegeben hat, die sich von diesem in ihren Augen besonders schön aussehendem Mann angezogen fühlten.
Die heutige Forschung geht davon aus, dass Leonardo homosexuell war und vor allem ein solches Verhältnis mit seinem Schüler Salai hatte.
Das nun folgende dritte Teil erklärt mit Hilfe von Dokumenten sowie an Hand  von zahlreichen weiteren Kunstwerken die von Leonardo und seiner Werkstatt angefertigt wurden, warum Leonardo tatsächlich in einem besonderen Verhältnis zu Salai stand und welcher Art dieses Verhälnis tatsächlich war.


Dritter Teil  

Salais Gesichtszüge und sein Verhältnis zu 

Leonardo
Gian Giacomo di Pietro Caprotti wurde um 1480 in Oreno di Vermicate bei Monza geboren. Salais Vater war Pächter eines Weingutes, welches Leonardo gehörte in der Nähe von Porta Vercellina.
Der junge Salai tritt am 22.Juli 1490 also mit ungefähr zehn Jahren in die Werkstatt von Leonardo ein, wie aus Leonardos Notizen hervorgeht. Man kann sich gut vorstellen wie sich Leonardo beim Eintritt des Jungen in seine eigene Kindheit zurück versetzt fühlte, da er ja auch mit ungefähr 10 Jahren in Verrocchios Werkstatt eintrat.

Vasari schreibt über Salai:
„ein anmutiger und schön gebildeter Jüngling mit krausen lockigen Haaren, an denen Leonardo absonderliches Vergnügen fand“

Ich werde später noch weiter auf die Biographie Salais eingehen, zunächst aber möchte ich Ihnen Kunst Werke von Leonardo und seiner Werkstatt vorstellen, die das Gesicht Salais zeigen.

Von herausragender Bedeutung, um zu erfahren wie Salai ausgesehen hat, ist das Gemälde, welches der italienische Multimillionär Bernardo Caprotti 2007 in einer Sothebys Auktion für 650000 US Dollar erstanden hat.

 

Der 2016 mit 91 Jahren verstorbene Caprotti hatte das Gemälde zunächst der Ambrosiana in Mailand geschenkt, dann aber die Schenkung in seinem Testament widerrufen. Ich werde später erklären, warum Caprotti so verärgert war, dass er das Gemälde nicht mehr der Ambrosiana überlassen wollte.

Das Gemälde wurde fast 7 Jahre lang untersucht und restauriert vor allem von der in Florenz befindlichen Firma Art-Test.
Man wollte sicher stellen, dass es sich bei dem Gemälde vor allem um ein authentisches Selbstporträt von Salai als Christus handelt.
Es hätte ja durchaus sein können, dass beispielsweise die Signatur eine Fälschung ist oder, dass nur Teile des Gemäldes aus der Zeit stammen.

Man wollte sicher auch überprüfen ob nicht auch Leonardo selbst an dem Gemälde mit gemalt hat. Einige Details des Gemäldes, wie beispielsweise die Locken, sind so gemalt, dass zahlreiche sehr dünne Farbschichten übereinander gelegt sind.




Abbildung 46: Der Salai Christ, Leonardos Werkstatt, Ambrosiana Mailand

Das Gemälde sollte vor allem im Zusammenhang mit den
Werkstattarbeiten zum Salvator Mundi beurteilt werden. Ich werde im fünften Teil nochmals über diese Gemälde sprechen und dort auch darlegen inwiefern Leonardo an diesen Gemälden mitgearbeitet hat.
Zumindest ist laut der Beschreibung der Ambrosiana auf deren Netzseite der Dargestellte zweifelsfrei Salai.
Ich kann mich dieser Beurteilung nur anschließen, denn die Ähnlichkeit des dargestellten mit anderen Gemälden aus der Leonardo Schule ist bemerkenswert.

Hier noch ein Detail aus dem Gemälde welches die Meisterschaft der Malerei zeigt. Die Haut ist sehr plastisch und mit einer gewissen Durchsichtigkeit, welche die Adern darunter erahnen lässt, dargestellt. Ein solcher Effekt entsteht nur dann wenn man unzählige sehr dünne Farbschichten übereinander legt.


Abbildung 47: Detail des Salai Christ, Sfumato Malerei


Das nächste Bild welches ich ihnen jetzt zeige ist Johannes der Täufer, welcher sich im Louvre in Paris befindet.

Abbildung 48: Salai als Johannes der Täufer, Louvre Paris


Dieses Gemälde gilt als eines der letzten Werke, welches Leonardo gemalt hat.
Es wird meistens auf die Zeit von 1512 bis 1514 datiert. Es ist aber gut möglich, dass Leonardo auch noch in Frankreich an dem Bild weiter gemalt hat.
Wenn wir das Gesicht mit dem in dem Selbstbildnis Salais vergleichen, kann man unschwer erkennen, dass es sich um dieselbe Person nämlich Salai handelt.


Abbildung 49: Vergleich zwischen dem Salai Christ und Johannes dem Täufer


Von Johannes dem Täufer wurden in der Leonardo Werkstatt mehrere Kopien angefertigt, von denen eine nachfolgend abgebildet ist. Auch diese Kopie könnte Leonardo in Zusammenarbeit mit Salai gemalt haben.
Leonardo wuchs ab ungefähr seinem zehnten Lebensjahr in einer Renaissance Werkstatt auf und arbeitete dort über 15 Jahre lang als Modell, Schüler, Lehrling und selbstständiger Maler. Als Leonardo 1482 ungefähr nach Mailand zog gründete er eine eigene Werkstatt zunächst zusammen mit den De Predis Brüdern. Es ist auch möglich, dass Leonardo schon in Florenz eine Werkstatt unterhielt, leider gibt es dazu aber keine Belege in den Quellen.
Sehen sie sich nun bitte dieses typischen Werkstatt Bilder an, es wird meistens Salai zugeschrieben und zeigt ebenfalls dessen Gesichtszüge:


Abbildung 50: Salai als Johannes der Täufer, Ambrosiana Mailand

Leonardos beschäftigte sich während eines Zeitraums von fast 50 Jahren  mit der Person Johannes der Täufer und seiner Geschichte. Johannes der Täufer hatte eine ähnliche Vita wie Jesus und es gab einige Apokryphe Evangelien und Geschichten, die sich mit ihm beschäftigten. Leonardos intensive und lebenslange Beschäftigung mit dem Täufer beginnt mit der Taufe Christi im Verrocchio Atelier, setzt sich fort mit der Felsgrotten Madonna und den zahlreichen Werkstatt Variationen dieses Gemäldes und endet dann bei dem Bildnis von Salai und seinen Werkstatt Variationen. 

Leonardo hatte einen Meister Schüler Boltraffio, welcher ab 1491 in seiner Werkstatt arbeitete. Eines der berühmtesten Gemälde Boltraffios ist der Jüngling mit dem Pfeil, der auch als junger Heilige Sebastian gesehen wird.


Abbildung 51: Salai als Sankt Sebastian, Puschkin Museum, Moskau


Auch in der Beschreibung des Puschkin Museums wird erwähnt, dass hier möglicherweise Salai dargestellt wird. Das Gemälde wird auf Ende der 1490er Jahre datiert. Wenn das Gemälde eine authentische Darstellung  von Salai ist, kann man als Zeitraum 1495 bis 1497 annehmen, da salai 1480 geboren wurde.

Salai blickt hier den Betrachter auf eine sehr betörende Art an. Ganz ähnlich ist auch sein Blick in dem zuvor gezeigten Louvre Gemälde, sowie der Wiederholung dieses Gemäldes in der Ambrosiana. 


Erinnern wir uns nochmals was Vasari über Salai berichtet:
„ein anmutiger und schön gebildeter Jüngling mit krausen lockigen Haaren..“

Ich möchte ihnen nun den Vergleich des Heiligen Sebastian mit dem Engel aus der Taufe Christi zeigen:


Abbildung 52: Salai als Sankt Sebastian, Leonardo als Engel

Man kann die beiden dargestellten Gesichter natürlich nicht so einfach vergleichen, weil die Perspektive sehr unterschiedlich ist. Wir sehen hier allerdings zwei sehr weiblich wirkende Jünglinge, die beide dichtes lockiges Haar besitzen. Die Kinn und Mundpartie sind sich ähnlich, dies wird in der folgenden Abbildung deutlicher. Durch eine ähnliche Perspektive werden die beiden Gesichter viel besser vergleichbar.


Abbildung 53: Vergleich von Salai und Leonardo, ungefähr gleich alt.


Es gibt zwei Leonardo Porträt Zeichnungen, in der königlichen Bibliothek der Windsors, die auch wahrscheinlich Salai zeigen, weil sie eine große Ähnlichkeit mit den zuvor besprochenen Gesichtszügen der Gemälde aufweisen.
Beide Zeichnungen sind auch dem Alexander Relief der National Galerie in Washington, dass im vorigen Kapitel besprochen wurde, außerordentlich ähnlich.
Die erste Zeichnung ist auf rötlich präpariertem Papier mit roter und schwarzer Kreide angefertigt. Leonardo verwendete diese Technik um 1510. Sie zählt zu den besten Porträt Zeichnungen, die es von der Hand Leonardos gibt.
Der dargestellte Junge Mann erinnert zunächst sehr an stilisierte klassische griechische oder römische Jünglings Köpfe. Es fallen die gerade klassische Nase, die dichten lockigen Haare, sowie die überstehende Unterlippe auf.
Es ist ein leichtes Doppelkinn angedeutet.
In jüngster Zeit wird diese Zeichnung immer wieder als ein Profilportrait Salais angesehen. Wenn man sich das Gesicht des Salai Christ aus Abbildung 46 um 90 Grad gedreht vorstellt, kann man zu demselben Schluss kommen. Allerdings dann hat Leonardo Salais langes Haar nicht dargestellt, um die klassischen Attribute hervorzuheben.




Abbildung 54: Salai mit klassischen Attributen, Windsor Castle, London


Die zweite Profil Zeichnung, welche ebenfalls zu den königlich englischen Sammlungen gehört wird dort auf die Zeit Leonardos in Frankreich datiert.
Dort wird darauf hingewiesen, dass es eine gewisse Ähnlichkeit des Dargestellten mit Abbildungen des römischen Kaisers Nero auf römischen Münzen und Medaillen gibt.

 
Abbildung 55: Salai mit klassischen Attributen, Windsor Castle, London

Hier wirkt Salai noch ein wenig jünger, als in der Zeichnung von 1510.
Es folgt jetzt eine Vergleichsabbildung zwischen dem Alexander Relief und der Salai darstellenden Profil Zeichnung von 1510.


Abbildung 56: Vergleich von Leonardo als Alexander der Grosse und Salai

Ich habe die Rötelzeichnung in eine schwarz weiße Darstellung umgewandelt, um den Vergleich zu erleichtern.
Die Übereinstimmungen im Kinn und Mundbereich sind offensichtlich. Der Unterschied ist vor allem die Nase Salais, die etwas spitzer ist und gerade an die Stirn ansetzt.
Anschließend der Vergleich der zweiten Profilzeichnung mit dem Alexander Relief.


Abbildung 57: Vergleich von Leonardo als Alexander der Grosse und Salai

Die Leonardo Profilzeichnung habe ich gespiegelt, um den Vergleich zu erleichtern. Man muss bedenken, dass die beiden gezeigten Kunstwerke mindestens 25 Jahre auseinanderliegen. Die Übereinstimmungen von Kinn Mund und Augenpartie sind verblüffend.
Da die spätere in Frankreich entstandene Leonardo Profilzeichnung in ihrem Duktus der Melzi zugeschriebenen Leonardo Profil Zeichnung sehr ähnelte habe ich mich dazu entschlossen die untere Hälfte dieser Leonardo Zeichnung zu benutzen, um das Gesicht Leonardos ohne den entstellenden Bart zu rekonstruieren.
Hier nun der Vergleich zwischen dem Alexander Relief und der Rekonstruktion von Leonardos Gesicht:


Abbildung 58: Leonardos Gesichts Rekonstruktion und das Alexander Relief im Vergleich


Es gibt ein weiteres interessantes Relief aus der Verrocchio Werkstatt, welches den Römer Scipio zeigen soll und im Louvre aufbewahrt wird. 


Abbildung 59: Scipio Relief, Verrocchio Werkstatt, Paris Louvre


Es fällt beim Vergleich mit dem Alexander Relief sofort auf, dass auch hier eine Drache und ein Gorgonenhaupt gezeigt wird
Ich zeige ihnen anschließend einen Vergleich zwischen der Salai darstellenden Zeichnung und dem Scipio Relief. 


Abbildung 60: Vergleich von Salai und dem Scipio, der eine idealisierte Darstellung Leonardos ist


Wie sie sehen sind sich die Profile des Scipio und von Salai in der Leonardo Zeichnung erstaunlich ähnlich. Der um 1480 geborene Salai war aber wahrscheinlich noch gar nicht auf der Welt als das Relief entworfen wurde. Es gibt aber eine einfache Erklärung für diese Besonderheit.

Leonardo war auch Modell für den Scipio. Die ausführenden Werkstatt Mitarbeiter haben sich allerdings nicht sklavisch an ihre Vorlage gehalten und Leonardo insofern verändert und idealisiert, indem sie eine typische klassische Nase verwendeten wie sie an unzähligen antiken Köpfen zu sehen ist.
Anschließend eine römische Kopie des Kopfes eines Athleten, der sehr typisch ist für den klassischen Gesichtstypus. Es war genau diese Art von Gesicht, an dass die Verrocchio Werkstatt Mitarbeiter dachten, um Leonardos Profil zum klassischen Profil hin zu veränderten.


Abbildung 61: Kopf eines Athleten, British Museum, London


Es gibt noch ein weiteres Gemälde das sehr oft im Internet zu sehen ist und welches den jungen Salai zeigen soll.
Interessant ist, dass das Gesicht, des in dem Gemälde dargestellten Jünglings fast identisch mit dem Gesicht der Bronze Skulptur des Davids von Verrocchio ist. Zunächst sehen Sie sich bitte das Gemälde an. Ich zeige Ihnen anschließend mit Hilfe einer Überblendungsstudie, dass die Ähnlichkeit zwischen beiden Gesichtern verblüffend ist.


Abbildung 62: Portrait eines Jungen, vermutlich Salai, wahrscheinlich Privat Sammlung

In der folgenden Überblendungsstudie habe ich das Gemälde gespiegelt verwendet, um den Vergleich zu ermöglichen. 


Abbildung 63: Überblendungsstudie zwischen dem Gesicht von Salai und dem David von Andrea Verrocchio.


Der bronzene David von Verrocchio ist ein Sonderfall, da Andrea Verrocchio sowohl Leonardo als auch den von Donatello geschaffenen bronzenen David als Modell verwendete, um daraus ein seien Idealen entsprechenden Gesichtstypus entstehen zu lassen.
Ich möchte ihnen das mit den folgenden Vergleichsabbildungen erklären.
Zunächst vergleichen wir die beiden Bronze Figuren von vorne. Man erkennt unschwer, dass die Position der Arme und Beine ähnlich ist. Auch die Körperhaltung der beiden Jünglinge ist sehr ähnlich. Donatello zeigt uns aber einen nackten David, während Verocchio sich für die leicht bekleidete Version entscheidet.


Abbildung 64: Links: Donatello David um 1445, Bargello Museum und rechts: Verrocchio David um 1474, Bargello Museum, Florenz


Donatellos Darstellung des Davids ist stark idealisierend, während Verrocchio das tatsächliche Modell Leonardo verwendete. Donatello war ein in Florenz hoch angesehener Künstler als er im Alter von 80 Jahren 1466 verstarb. Andrea Verrocchio setzte sich immer wieder mit der visionären Kunst Donatellos aus. Er wusste auch sofort, dass Leonardo das richtige Modell für den David war, weil er dem Ideal Donatellos sehr nahe kam.

Im Vergleich der Profile der beiden David Gesichter kann man durchaus Ähnlichkeiten entdecken, während die beiden Gesichter von vorne gesehen sich weniger ähneln. 


Abbildung 65: Vergleich der Gesichts Profile des David von Verrocchio (links) und von Donatello (rechts)


Abbildung 66: Vergleich der Gesichter von vorne des David von Verrocchio (links) und von Donatello (rechts)

Nachdem ich Ihnen geschätzte Leserinnen und Leser gezeigt habe wie ähnlich sich Leonardo und Salai waren , können Sie sicher gut verstehen, warum ich die Salai Profil Zeichnung, welche in der königlichen Bibliothek der Windsors aufbewahrt wird, zur Rekonstruktion des Gesichtes von Leonardo im Alter von 65 Jahren verwendet habe.

Die Ähnlichkeit von Salai und Leonardo könnte natürlich rein zufällig sein. Es gibt aber Aufzeichnungen von Leonardo selbst, die auch einen anderen Schluss zulassen in welchem Verhältnis Leonardo zu Salai stand.

Ich werde ihnen nun diese Aufzeichnungen vorstellen. Sie gehören zu dem umfangreichsten persönlichen Notizen, die es von Leonardo gibt. Zwar existieren von Leonardo glücklicherweise immer noch tausende von Seiten Aufzeichnungen zu den unterschiedlichsten Themen, persönliche Äußerungen sind dagegen sehr selten in seinen Notizen zu finden.

Dort schreibt Leonardo:

„ Jacomo (=Salai; Ciacomo Caprotti) zog am Magdalenentag zu mir, im alter von zehn Jahren (diebisch, verlogen, trotzig, gefräßig).
Am zweiten Tag darauf lies ich ihm zwei Hemden ein paar Hosen und ein Wams zuschneiden und als ich mir das Geld zum bezahlen dieser Sachen beiseite legte, stahl er mir dieses Geld aus dem Beutel und es gelang mir nie ihn zu einem Geständnis zu bewegen, obwohl ich fest davon überzeugt war. (4Lire)
Am darauffolgenden Tag ging ich zu einem Abendessen bei Giacomo Andrea, und der bezeichnete Giacomo aß indes für zwei und machte schaden für vier, denn er zerbrach drei Krüge, verschüttete den Wein und kam danach zu dem Abendessen wo ich...

Ferner: 

Am 7.September stahl er Marco der bei mir wohnte einen Griffel im wert von 22 Soldi, der aus Silber war und nahm ihn mit in seine Werkstatt. Nachdem der genannte Marco lange nach ihm gesucht hatte fand er ihn in der Truhe des genannten Giacomo versteckt.
(2 Lire, 1 Soldi)“

Ferner:

„Als ich am 26. des folgenden Januar im Hause von Messer Galeazzo da Sanseverino war, um sein Turnierfest anzuordnen und als einige Pagen sich auszogen um einige Gewänder von wilden auszuprobieren, die bei diesem fest auftraten, da machte sich Giacomo an den Geldbeutel eines unter ihnen heran, der mit anderen Kleidungsstücken auf dem Bett lag und nahm das Geld heraus, das er darin fand. (2 lire, 4
Soldi)“

Ferner:

„ Nachdem ich von Meister Agostino aus Pavia in dem betreffenden Haus ein türkisches Leder zum anfertigen von ein paar Stiefeln geschenkt bekommen hatte, stahl Giacomo es mir im Laufe des Monats und verkaufte es einem Flickschuster für 20 Soldi, worauf er sich von dem Geld, wie er mir selbst gestanden hat, einen Aniskuchen kaufte. (2 Lire)
Ferner: 

Als Gian Antonio am 2.April einen silbernen Griffel auf einer seiner Zeichnungen liegen ließ, stahl dieser Giacomo ihm den Griffel, der 24 Soldi wert war. (1 Lire 4 Soldi) “

Diese Aufzeichnungen Leonardos sind mehrfach interessant, da sie zum einen sehr genau die Probleme Leonardos mit dem jungen Salai beschreiben und andererseits durch einige sehr interessante Details uns Einblick in die Werkstattarbeit Leonardos geben.

Giacomo oder besser Salai sorgte wie aus Leonardos Aufzeichnungen klar hervorgeht von Anfang an für Ärger und Aufregung in der Werkstatt, da er ständig von Leonardos Mitarbeitern Dinge stahl und auch in der Öffentlichkeit von seinen Diebstählen nicht abließ. Leonardo bezifferte die Schäden die Salai durch seine Missetaten anrichtete genau in Scudi und Soldi. Warum er dies tat ist zunächst rätselhaft. Man kann sich vorstellen,  dass Leonardo das Geld Salais Vater in Rechnung stellen wollte.
Wenn er dies getan hätte, wäre aber noch etwas anderes passiert. Leonardo hätte versucht den Schaden zu begrenzen.

Deswegen ist es befremdlich, dass Leonardo Salai nicht einfach aus der Werkstatt warf, was das mindeste gewesen wäre was ein Renaissance Meister mit einem Lehrling gemacht hätte, der sich wie Salai verhielt.

Statt dessen bezeichnete er ihn zärtlich als Salaino, was Teufelchen bedeutet.

Man hat dieses außergewöhnliche Verhalten Leonardos immer damit erklärt, dass er in Salai oder in Salais Aussehen so verliebt war, dass er seine Diebstähle tolerierte oder dass er über einen außergewöhnlich sanftmütigen und verzeihenden Charakter verfügte.

Leonardo hat aber nicht eindeutig einen so sanftmütigen und friedlichen Charakter gehabt, wie sich einfach zeigen lässt, wenn man bestimmte Zeichnungen Leonardos zu Kriegs Maschinen sich ansieht.

Abbildung 67: Studien zu Kriegsmaschinen, 1485 datiert, königliche Bibliothek Turin

Zwar wird immer wieder berichtet, dass er Vögel auf dem Markt kaufte, um sie anschließend aus ihren Käfigen zu befreien, aber das lässt noch keinen Schluss zu, wie seine Einstellung zu seinen Mitmenschen war.
Viel wahrscheinlicher ist, dass Leonardo eine komplexe und vielschichtige Persönlichkeit war. Ich werde im vierten Teil auf Leonardos Bedürfnisse und Persönlichkeit noch genauer eingehen.
Es ist gut möglich, dass Salai schon als Jugendlicher homosexuelle Neigungen entwickelte, da auch er sehr weibliche Züge besaß.
Die Gemälde, die Salai als Johannes den Täufer abbilden zeigen ihn mit einem verführerischen Blick, dem man auch durchaus als zwielichtig oder lasziv empfinden kann. 
Salais Homosexualität war also seinen Zeitgenossen bekannt. 
Es gibt aber ein sehr starkes Argument, was gegen Leonardos Homosexualität spricht und das ist sein Vollbart, den er spätestens ab 1480 sich wachsen ließ. Leonardo war sich mit Sicherheit seiner Weiblichkeit bewusst, wie an Hand der Kunstwerke im zweiten Teil dieser Studie nachgewiesen wurde.
Er hätte diese Rolle auch in einer homosexuellen Beziehung übernommenen. Allerdings ist es schwer möglich solch eine Rolle zu übernehmen, wenn man sein weibliches Aussehen hinter einem dichten langen Vollbart versteckt.
Viel mehr ist denkbar, dass die zahlreichen Homosexuellen in Leonardos Florentiner Umgebung ihm immer wieder Avancen machten, auf die Leonardo allerdings nicht einging.
Einer dieser Verehrer war es vielleicht auch, der aus der Wut über die unerwiderten Gefühle heraus Leonardo anzeigte. Nach der Erfahrung der Haft  und den damit verbundenen Ängsten, hatte Leonardo beschlossen, sein Aussehen zu verändern.
Der lange dichte Bart schützte ihn vor weiteren Verehrern. Es ist auch gut möglich, dass Leonardo damit zufrieden war, dass seine Mitmenschen dachten er hätte homosexuelle Beziehungen zu Salai, was natürlich auch die Hoffnungen anderer Verehrer beschränkte.
Wenn wir uns aber daran erinnern, dass Leonardo und Salai sich sehr ähnlich waren kann man auch an eine Verwandtschaft der Beiden denken.
Salai wäre dann am wahrscheinlichsten der uneheliche Sohn von Leonardo gewesen, den Caprotti, Leonardos Weinbergs Pächter,  nur als Mündel aufgezogen hat.
Wenn Salai tatsächlich Leonardos Sohn war, wird auch verständlich, warum er das Kind Salai nach den zahlreichen Diebstählen nicht aus der Werkstatt warf. Ebenso wird verständlich warum Salai nicht nur durch Leonardos Testament die Hälfte des Weinbergs bekam sondern auch warum sich einige von den besten Gemälden der Leonardo Werkstatt sich nach Salais Tod in seinem Nachlass befanden.
Die nächste Frage, die sich nun stellt ist natürlich wer Salais Mutter eigentlich war und warum ihre Beziehung zu Leonardo geheim gehalten werden musste.
Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig sich  zunächst mit Leonardos Beziehungen zu Frauen zu beschäftigen. Deshalb behandelt der folgende vierte Teil vor allem die Gioconda.




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